Schwere tiefe Hirnblutungen sind behandelbar

Eine wegweisende Studie unter der Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern zeigt, dass ein chirurgischer Eingriff zur Senkung des Hirndrucks bei schweren tiefen Hirnblutungen Leben retten und Folgeschäden verringern kann. Für diese Patientinnen und Patienten gab es bisher keine andere Behandlungsmöglichkeit mit erwiesenem Nutzen.


Mit 6,5 Millionen Todesfällen pro Jahr ist der Hirnschlag ein gravierendes weltweites Gesundheitsproblem. Meistens ist eine Durchblutungsstörung im Hirn die Ursache. Man spricht von einem ischämischen Hirninfarkt. Rund 20 Prozent der Hirnschläge werden jedoch durch eine Hirnblutung verursacht. Sie birgt im Vergleich zum ischämischen Hirninfarkt ein höheres Risiko für schwerwiegende Folgen. Hirnblutungen sind für fast die Hälfte aller Todesfälle durch Hirnschlag verantwortlich.


Bisher keine Therapie für schwere tiefe Hirnblutungen
Eine Hirnblutung entsteht infolge eines verletzten Blutgefässes. Das Blut zerstört Hirnzellen, was das Hirngewebe anschwellen lässt und, zusammen mit der Blutung, den Druck im Hirn erhöht – meistens mit schweren gesundheitlichen Folgen.

Passiert die Blutung in den tiefen Hirnarealen, ist die Behandlung besonders schwierig. Bisher konnte keine medikamentöse oder chirurgische Behandlung bei diesen Patientinnen und Patienten das Risiko für Folgeschäden oder Tod senken. Die neu veröffentlichte internationale SWITCH-Studie unter der Leitung des Inselspitals, Universitätsspital Bern, und der Universität Bern macht nun Hoffnung. Sie zeigt, dass ein chirurgischer Eingriff, die sogenannte dekompressive Kraniektomie, bei schweren tiefen Hirnblutungen Leben retten und Folgeschäden verringern kann.


Erste Studie ihrer Art weltweit
Bei der dekompressiven Kraniektomie wird ein Stück der Schädeldecke chirurgisch entfernt, um den erhöhten Hirndruck zu senken. Bei Patientinnen und Patienten mit ischämischem Hirninfarkt führt dieses Verfahren nachweislich zu besseren Langzeitergebnissen. Für Patientinnen und Patienten mit einer Hirnblutung ist SWITCH die erste Studie, die das untersucht. Sie wurde hauptsächlich vom Schweizerischen Nationalfonds und der Schweizerischen Herzstiftung finanziert.

In die Studie aufgenommen wurden 201 erwachsene Personen mit einer schweren tiefen Hirnblutung aus neun europäischen Ländern. Weil die Finanzierung nach acht Jahren auslief, wurde die angestrebte Zahl von 300 Studienteilnehmenden nicht erreicht. Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Entweder erhielten sie die beste medizinische Behandlung plus zusätzlich eine dekompressive Kraniektomie oder sie erhielten allein die beste medizinische Behandlung. Nach sechs Monaten wurde verglichen, wie viele Patientinnen und Patienten bettlägerig oder verstorben waren.


Markante Verbesserung scheint möglich
Die in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichten Resultate zeigen einen beachtlichen Unterschied zwischen den beiden Studiengruppen: 44 Prozent der Teilnehmenden, welche die Kombinationstherapie erhalten hatten, waren nach sechs Monaten bettlägerig oder verstorben. In der Vergleichsgruppe ohne Kraniektomie waren es hingegen 58 Prozent. Bemerkenswert ist zudem, dass die Kraniektomie die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Ereignisse nicht signifikant erhöhte.

Weil die Zahl der Studienteilnehmenden tiefer war als geplant, ist die statistische Aussagekraft der Studie eingeschränkt. Dennoch liefert SWITCH Hinweise, dass die dekompressive Kraniektomie bei schweren tiefen Hirnblutungen vorteilhaft sein kann. «SWITCH ist die erste Studie weltweit, die zeigt, dass eine deutliche Senkung der Sterblichkeit und der Folgeschäden bei Patientinnen und Patienten mit schwerer tiefer Hirnblutung möglich ist. Die Tatsache, dass für diese Personen derzeit keine andere Behandlungsmöglichkeit existiert, macht unsere Resultate noch bedeutender», sagt Prof. Dr. med. Urs Fischer, der die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. med. Jürgen Beck leitete.

Die Resultate der SWITCH-Studie lassen hingegen keine Aussage zu anderen Arten von Hirnblutungen zu, wie beispielsweise oberflächlichen Blutungen und kleineren Blutungen. Darüber hinaus war der Anteil an Patientinnen und Patienten, die aufgrund der Hirnblutung verstarben oder schwere Folgeschäden erlitten, in beiden Studiengruppen nach wie vor hoch. Dies unterstreicht den dringenden Forschungsbedarf, um die Behandlungsstrategien für Hirnblutungen zu verbessern. Die Forschenden der SWITCH-Studie möchten als Nächstes untersuchen, ob es zwischen verschiedenen Untergruppen ihrer Studienteilnehmenden Unterschiede hinsichtlich des Risikos und des Nutzens der dekompressiven Kraniektomie gibt.

 

Links
Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital, Universitätsspital Bern
Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland

 

Publikation
Beck J, et al. Decompressive craniectomy plus best medical treatment versus best medical treatment alone for spontaneous severe deep supratentorial intracerebral haemorrhage: a randomised controlled clinical trial. Lancet 2024; DOI: 10.1016/S0140-6736(24)00702-5 zum Artikel

 

 

Experten
Prof. Dr med. Urs Fischer, Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, und Universität Bern, E-Mail: urs.fischer@STOP-SPAM.insel.ch
Prof. Dr med. Jürgen Beck, Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland, E-Mail: j.beck@uniklinik-freiburg.de

Um schwere Druckschäden nach einer Hirnblutung zu verhindern, haben die Ärztinnen und Ärzte in der Studie temporär einen Teil des Schädelknochens entfernt. Nach dem Abschwellen – meist nach einigen Wochen – wurde der Knochen wieder implantiert. Quelle: Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern